footloose
diploma show at Parallel Vienna 22-27/09/2020
Painting and Animated Film - Judith Eisler
University of applied Arts Vienna
Veronika Abigail Beringer
Esther Martens
Anna Nagy
Amelie Bachfischer
curated by Cornelia Lein
Photography: Agnes Prammer
“The one essential prerequisite of all freedom …is simply the capacity of motion, which cannot exist without space.”
— Hannah Arendt
footloose
Die Frage nach dem Verhältnis von Stillstand und Bewegung, Realität und Fiktion verbindet die Arbeiten von Veronika Abigail Beringer, Esther Martens, Anna Nagy und Amelie Bachfischer wie ein durchsichtiges Band. Die vier Künstlerinnen haben im engen Austausch ihre Diplome an der Universität für Angewandte Kunst bestritten. Auf der Suche nach Sinn und Selbstbestimmung werden Konstruktionen von Identitäten, sowie deren Bedingtheiten und Strukturen mit Hirn und Humor geprüft. Wie können im zeitgenössischen Kontext Potenziale geschaffen werden, ohne sich selbst von der Fülle der Möglichkeiten erdrücken zu lassen? Und was gilt es der spätkapitalistischen Durchdringung von Markt und Identität überhaupt entgegenzusetzen? Die Stärke der Arbeiten liegt dabei unter anderem in der persönlichen Aneignung unterschiedlicher Techniken und Erzählungen. Geeignete Räume und Lücken werden kurzerhand behauptet, gesetzt oder imaginiert. Ein bisschen Farbe kann nicht schaden. Heben Sie hoch das Bein, treten Sie ein …
Wir begegnen einer Truppe von Stiefeln, die sich auf einen imaginären Roadtrip begibt. Anna Nagy erschafft in ihrem Diplom Highway to Melencolia, 2020 ausgehend vom bekannten Dürer-Sujet, eine Serie von Ruby Boots, die den Ausweg aus der Lethargie hinein in die Prärie einleiten. Die Eigenschaften der empfundenen Schwere lösen sich auf und werden als Attribute von den Stiefeln einverleibt. Die Kunst agiert hier in Bezug auf Nietzsche als Zauberin, die es ermöglicht „die Ekelgedanken über das Entsetzliche und das Absurde des Daseins in Vorstellungen umzubiegen.“[1] Das romantische, immer noch meist männlich besetzte Narrativ der freien Wildnis wird flux angeeignet. Wenn Nagy doch das Diktat der Vorwärtsbewegung nicht entgeht: What doesn’t kill you makes you stronger – aber nur so lange du in Bewegung bleibst.
Die Figuren in Esther Martens Porcelaineous, 2020 verharren glänzend in ihrer verführerischen Präsenz. In Fragmenten gezeigt, laden sie uns ein, Voyeur*innen der Illusion zu werden. Martens, die selber Porzellanfiguren sammelt, beschäftigt sich mit der Geschichte der Porzellanfigur, die synonym die Darstellung des weiblichen Körpers unter dem male gaze über die Jahrhunderte wiederspiegelt. Die Figuren, die meist nur von einer Privatsammlung zur nächsten ziehen, malt Martens im Bewusstsein ihrer nostalgischen Bezüge und ihres Wertewandelns. One woman’s trash is another woman’s treasure – die unbelebten Figuren werden übersetzt und bekommen im Einklang mit den fragilen wie beständigen Eigenschaften von Porzellan, einen neuen widerständigen Auftritt in der Malerei.
Auch Veronika Abigail Beringers Arbeiten basieren auf gefundenem Material. In ihrer Serie Allround Schwimmer, 2020 werden analoge und digitale Collagen weiter fragmentiert und in Malerei auf Leinwand, sowie auf Keramikfliesen übersetzt. Manchmal kommt auch nur der Verschnitt zum Einsatz – Sedimente unserer Zeit, wie Beringer sie nennt. Im Bewusstsein des ständigen Wandels der Materie, und demnach auch von Identität, entwickelt sie Momentaufnahmen im Wechselspiel von Intuition und Reflexion. Mit Verweis auf die zeitgenössischen Anforderungen der Wandlungsfähigkeit, unter anderem bezugnehmend auf Gerald Raunigs Dividuum, schafft sie so Bilder, die sich auf mehreren Ebenen mit Fluidität und diversen Aggregatszuständen beschäftigen.
Amelie Bachfischers LOOK AND PHRASE, 2020 ist eine multimediale Inszenierung – ein Spiel um Sehnsucht und Identitätswandel. Die Arbeit basiert auf einem Video im Stil einer MTV-Casting-Show, in dem sich Bachfischer innerhalb einer Woche in ihrer Wohnung vom antriebslosen Couchpotato zur Rollschuh-Profin wandelt. Das passende Turnier-Kleid schneidert sie sich gleich selbst. Der Bruch folgt im beiliegenden Zine: Verhalten inszeniert sie sich im siegreichen Do-it-yourself-Setting, begleitet von Gedichten an eine unbekannte Liebe. Wie auch die unerfüllte Projektion auf das Gegenüber, verharrt der Zugriff auf das Reale im Spiel mit der Illusion – das Kostüm, das den Rollenwandel mitträgt, liegt noch da. Die Rollschuhe machen die photographische Inszenierung mit, um schließlich als 1:1 Modelle aus bemaltem Karton als Sehnsuchtsobjekte zu verharren.
[1] Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, Fiedrich Nietsche, 1872